Hallo Hagen.

Ich habe gestern Abend Deine E-Mail erhalten und alles mit großem Interesse gelesen und auch heruntergeladen. Du hast Dir fürwahr eine Riesenarbeit gemacht, die ich sehr gut finde. Ich war so beeindruckt, dass ich bis 1 Uhr alles nachgelesen hatte.

Nun zu Deinem Großonkel Otto Walter Friedrich. Er war beim Gren. Rgt. 399 der 170 I.D. Ich selbst war bei der Operation am 15.1.1944 bei Leningrad beim Stab des Reg. 19 (L) der 10. Lw. Felddiv. Ich war Funker und zugleich Schreiber für der Rgts. Kdr. und den Nachr. Offizier. Wir lagen mit dem Stab am Dorfeingang von Gostilizy am sog. Oranienbaumer Kessel. In unserem Rgts. Abschnitt war auch das I. Batl. des Gren. Rgts. 399, das uns unterstellt war. Die übrigen Teile des Gren.Rgts. waren, wie Du ermittelt hast bei dem Angriff am 15, Jan. zwischen Puschkin und Urizk. Unser Lw. Rgt. 19 (L) wurde bei dem Angriff bis auf kleine Reste vollständig aufgerieben Einzig die uns unterstellten zwei Inf. Batl. (I/399 , das westlich Gostilizy zw. Watwatossi und Perelessje lag sowie Btl.II/391) zogen sich auf ihre Btl. Gef. Stände zurück und igelten sich ein. Bei den Rückzugsgefechten igelten sich die beiden Inf. Btl. gemeinsam ein und wurden eingeschlossen. Unser Stab lag einen Tag später in Koscherizi in den Stellungen unserer Artillerie. Dort leitete ich den Funkverkehr mit den Eingeschlossenen, die am 2. Tag förmlich mit Artillerie-Unterstützung (Feuerglocke) herausgeschossen wurden. Der Funker bei den beiden Btl. war ein guter Freund von mir, der aus unserem Heimatort stammte. Er wurde am nächsten Morgen (abends hatten wir sie glücklich wieder bei uns) in Koscherizi verwundet und ist später in Schlesien gefallen. In den folgenden Tagen übernahm das Inf. Rgt. 401 der 170. Inf. Div. unsere Reste und wir kamen über Kingisepp nach Narwa.

Beim Rückzug von Leningrad und den Gefechten, die gerade vom Oranienbaumer Kessel aus und vom Einschl. Ring um Leningrad aus mit äußerster Heftigkeit geführt wurden, gab es auf beiden Seiten große Verluste, die einfach im Einzelnen nicht mehr festgestellt (ob gefallen, verwundet oder in russ. Gefangenschaft geraten) werden konnten. Die aus dem Oranienbaumer Kesser heraus operierende 2. russ. Stossarmee hatte den Knotenpunkt Gatschina zum Ziel, um die Nordfront am Wolchow u.dergl. abzuschneiden. die Einheit mein Bruders. der glücklicherweise gerade in Heimaturlaub war, lag zu diesem Zeitpunkt am Wolchow . Beim Rückzug vor Kingisepp traf ich einen Freund meines Bruders der mit ihm im gleichen Btl. (Rgt. 162 der 61 Inf. Div.) gewesen ist.

Aus der Tatsache, dass der stellvertr. Kompaniechef erst am 25. März 1944 dazu kam, den bei Gefallenen und Vermissten üblichen Brief an die Angehörigen zu schreiben, kannst Du darauf schließen, daß es bis an die Narwafront Ende Februar 1944 kaum eine Möglichkeit gab, festzustellen und zu registrieren, wer, wann, wo bei diesen schweren Rückzugsgefechten bei den Einheiten fehlte. Die 170. Inf. Div., mit der ich (Rgt. 401) den Rückzug bis Kingisepp mitmachte, lag ab März l944 südlich Narwa am russ. Brückenkopf, der bis westlich Narwa reichte und aus dem immer wieder in den folgenden Wochen versucht wurde, durch einen Durchbruch bis an die Küste, Narwa einzuschließen.

Lieber Hagen. Es tut mir sehr leid, dass ich nichts zur Klärung des Verbleibs Deines Großonkels beitragen konnte. Ich hoffe, daß Dich meine Mitteilung dennoch interessieren und halbwegs zufrieden stellen konnte.

Nun zu Deinem Großvater Richard Werner Friedrich.

Unsere 170 Inf. Div. wurde im Juli 1944 auf dem Weg zu einer Verlegung und Einschiffung in Reval nach Karelien durch die eingetretene russ.Großoffensive im Mittelabschnitt umgeleitet und in den Mittelabschnitt geworfen. Ich weis nicht, ob Du die Darstellungen über die Operation Bagration aus wikipedia.org kennst. Dort ist der ganze Verlauf der Kämpfe und auch viele russ. Karten des jeweiligen Frontverlaufes dargestellt. Ich selbst war von der Narwafront bei der Verlegung nicht dabei, da ich zu dieser Zeit im Erholungsheim unserer Div. in Hungerburg weilte. Bei der Rückkehr zu meiner Einheit war diese weg und wir wurden 3 Wochen lang unserer Div. hinterhergeschickt, weil einfach nicht festgestellt werden konnte, wo die Div. im Mittelabschnitt war. Wir waren inzwischen gut 100 Mann aus unserem Rgt. (Urlauber Genesende) die 2 mal in Riega, dann Dünaburg zurück Riega, Königsberg, Byalistock zurück Königsberg und letztendlich von dort wieder über Byalistock Richtung Molodecschno geschickt wurde, wo wir dann Ende Juli, Anfang August unser Rgt. fanden. und den Rückzug im Memelbogen bis Sudauen machten.

Bei der Operation Bagration, wo die Front im Mittelabschnitt bis vor Warschau und die neue deutsche Reichsgrenze Ostpreußens zurückgedrängt wurde, sind ganze Div. eingekesselt und vernichtet  worden und z. Teil in Gefangenschaft geraten. Aus diesen Kämpfen stammen die meisten der vermissten deutschen Soldaten, deren Schicksal wahrscheinlich sich niemals mehr aufklären lässt.

Lieber Hagen, es ließe sich noch Vieles sagen und schreiben, aber dies alles liegt hinter dem Zeitpunkt, wo Dein Großvater vermisst wurde.

Ich hoffe trotzdem auf Dein Interesse und verbleibe mit den herzlichsten Grüßen aus dem Saarland

Ferdinand 

       

Wichtiger Hinweis: Diese Seite verherrlicht nicht die Ereignisse des 2. Weltkriegs, sie soll rein objektiv den Verbleib meiner Verwandten schildern.

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